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Hans-Joachim Lange:  Zehn Fragen zur Wissensbasis der Wetter- und Klimatheorie

(Aus meinem Vortrag mit dem Titel "Erfahrungen beim Verfassen eines Lehrbuches",  gehalten im Juli 2002 im Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin)

Das Motiv für diesen Vortrag war der Wunsch, einmal erzählen zu dürfen, welche Höhen und Tiefen man erleben kann, wenn man weit über 10 Jahre lang an einem "Lehrbuch" schreibt (Lange (2002)), in wie viele Sackgassen man dabei geraten kann, und auf welchen Umwegen man manchmal doch zu einer Darstellung kommt, zu der man dann steht. Eine weitere Motivation für diesen Vortrag war Rezension eines anderen Meteorologie-Lehrbuches, aus der ich hier eine kleine Passage zitiere:

 

"An der Basis unseres Wissens ändert sich im Laufe der Zeit herzlich wenig. Wieso also eine neue Kollektion von ... , Bewegungsgesetzen, Strahlung usw.?"

 

Was die Form dieser Rezension betrifft, so bin ich der Meinung, dass es taktlos ist, ein in langen Jahren hingebungsvoll verfasstes Buch als "Themenkollektion" zu bezeichnen. - Was aber den Inhalt dieses Zitates betrifft, so fällt meine Kritik am Kritiker noch deutlicher aus, nicht zuletzt auch deshalb, weil auch mein Buch betroffen wäre, wenn die Basis unserer Wissenschaft tatsächlich so sicher wäre. Automatisch fällt mir in solchen Situationen immer wieder der Aphorismus von André Gide ein: "Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben". Ausgerechnet die beiden herausgegriffenen Begriffe Bewegungsgesetze und Strahlung bilden auch in meinem Buch Schwerpunkte, und begründen wollte ich das in meinem heutigen Vortrag damit, dass sich "an der Wissensbasis" zu diesen Themen eben doch sehr vieles geändert hat!

Natürlich kann ich das in einem einstündigen Vortrag nicht detailliert tun. Ich kann aber versuchen, Fragen zu stellen, die erkennen lassen, dass sich etwas ändern musste! Das entspricht auch den in meinen in Vorlesungen immer wieder versuchten didaktischen Ansätzen, nämlich vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, und das auf hoffentlich so kluge Weise, dass Hörer oder Leser möglichst neugierig werden, wie denn wohl die Lösung sei. Mein Problem dabei war allerdings, dass diese Fragen manchmal "so klug" waren, dass ich sie selbst nicht beantworten konnte, und ich auch in der Literatur keine Antwort fand. Und so musste es ja zu den erwähnten Umwegen und Sackgassen kommen. Hier ist nun eine Aufstellung der Fragen, die ich für diesen Vortrag ausgewählt habe.

 
  (1)  Gibt es Druckänderungen im dichtekonstanten barotropen Modell mit fester oberer Berandung?
 
  (2)  Warum erteilt die die Hamiltontheorie der Energie eine Sonderrolle innerhalb aller Erhaltungsgrößen? Ist das gerechtfertigt?
 
  (3)  Wieso feiern die Hamiltonschen kanonischen Gleichungen fast überall große Erfolge, nur nicht in der Meteorologie?
 
  (4)  Wieso enthält die Impulsbilanzgleichung einen Quellterm, obwohl der Impuls eine globale Erhaltungsgröße ist?
 
  (5)  Verletzt der Strahlungswärmestrom, der ja von "kalt nach warm" gerichtet sein kann, den Zweiten Hauptsatz?
 
  (6)  Wieso wurde die Strahlung erst 1984 in die Gibbs'sche Theorie derThermodynamik eingebaut?
 
  (7)  Ist "Klima" eine reine Statistik über die Physik des Wetters, oder gibt es auch eine eigenständige Klima-Physik?
 
  (8)  Wie vereinbart sich die erdgeschichtliche relative Temperaturkonstanz mit der Erhöhung der Solar-"Konstante" um 30%?
 
  (9)  Wieso gibt es so viele Formulierungen der Hauptsätze, aber keine Beweise für ihre Äquivalenz?
 
  (10)  Wieso beschreiben Lehrbücher entweder eine Hauptsatz-Thermodynamik oder eine Gibbs'sche Thermodynamik?

Diese Aufstellung enthält praktisch die Gliederung meines Vortrags. Sie enthält immerhin vier Fragen zur angeblich so festen Wissensbasis "Bewegungsgesetze" und zwei Fragen zur Wissensbasis "Strahlung". Dann schließen sich noch zwei Fragen zur Klima-Problematik an, und schließlich zwei Fragen zur Thermodynamik. Es ist wie gesagt nur eine kleine Themen - Auswahl. Auch viele andere Themen haben während der Arbeit am Buchmanuskript das Gemüt des Autors nachhaltig beeinflusst, etwa die Chaostheorie mit ihren Bezügen zu Thermodynamik, das Thema Strukturbildungstheorie in Meteorologie und Klimatheorie, oder Stabilitätsfragen meteorologischer und/oder klimatischer Zustände, usw., usw. Gern hätte ich auch mehr zu der so bedeutenden Neuformulierung der Dynamik der Idealatmosphäre (Névir 1998), gesagt, als ich in der Beantwortung der ersten Frage unterbringen kann:

(1)
Gibt es tatsächlich Druckänderungen im dichtekonstanten barotropen Modell mit fester oberer Berandung?


Dies ist die erste Frage nach meinem Studium, die mir persönlich so richtig zu schaffen gemacht hat. Ich stieß auf sie, als ich 1973 eines der ersten Hefte der meteorologischen Fortbildungszeitschrift "Promet" gelesen hatte. Dort hieß es:

"Dieses Modell lässt sich vorstellen als eine inkompressible, homogene Flüssigkeit mit konstanter Dichte, welche sich zwischen zwei horizontalen Platten reibungsfrei und stets nur horizontal bewegen darf."
 -  Wenig später kommt der mir unverständliche Satz:
"Dennoch sind horizontale Druckunterschiede möglich."

Wie kann das sein? - Tatsächlich enthält dieses Modell Rossbywellen, das ist nicht zu leugnen. Andererseits muss man sich doch fragen, wie es zwischen zwei horizontalen Platten zu wellenartigen Druckunterschieden kommen kann. Die vertikalen Luftsäulen sind doch alle gleich hoch! Und der Druck ist doch nichts anderes als das Gewicht dieser Säulen! Und die Dichte ist doch überall gleich!

Auch heute verstehe ich diesen Satz nicht, aber ich glaube wenigstens zu wissen, warum. Weil er gar nicht stimmt! Das Modell enthält zwar Rossbywellen, aber dennoch keine horizontalen Druckunterschiede! Zu diesem Schluss kam ich, als ich mich mit den umbruchartigen Veränderungen der Bewegungsgesetze beschäftigte, die Névir (1998) in seiner Habilitation unter dem Begriff Energie-Wirbel-Theorie zusammengefasst hat.

Diese neue Theorie hebt die Wirbelgröße auf die gleiche fundamentale Stufe, die auch die Energie einnimmt. Das bedeutet, dass die Hamilton-Theorie die Energie in unberechtigter Weise bevorzugt, dass die Hamilton-Theorie also verallgemeinert werden muss. Diese Verallgemeinerung hat bereits der Elementarteilchenphysiker Nambu (1973) für die Kreiseltheorie durchgeführt. Später hatten Névir und Blender (1994) diese Verallgemeinerung für die inkompressible Hydrodynamik durchgeführt, und dann Névir (1998) auch für die kompressible Ideal-Atmosphäre.

Aus dem weiteren Verlauf des "Promet"-Textes geht immerhin hervor, dass die Rossby-Welle nicht aus der klassischen Bewegungsgleichung hergeleitet wird, die ihrerseits aus dem Hamiltonprinzip kommt, sondern aus der Vorticitygleichung. Diese Tatsache ist natürlich altbekannt, aber sie erhält nun, da der Vorticity und der Energie die gleiche Bedeutung zugebilligt werden müssen, einen ganz anderen Stellenwert!

Die Vorticitygleichung ist eine fundamental eigenständige Gleichung! Wegen dieser Eigenständigkeit ist gar nicht zu erwarten, dass ihre Lösungen Druckunterschiede beschreiben. Die Rossby-Lösung der Vorticitygleichung beschreibt eine Wellenverlagerung von Vorticity-Zentren, und nicht von Druckzentren! Und horizontale Vorticity-Unterschiede sind möglich, auch zwischen horizontalen Platten!

 

Zur ganzen Wahrheit der Rossbywellen gehören natürlich auch Druckunterschiede. Die Energie-Wirbeltheorie besagt ja gerade, dass auch eine reine Wirbelsicht einseitig ist. Jedes Mal fehlt ein Teil der Wirklichkeit. Die Vorticity-Verlagerung wird durch die Wirbelkomponente, die Druck-Verlagerung durch die Energiekomponente einer umfassenden Theorie beschrieben. Der Punkt ist nur, dass die Energie-Sicht in einem Modell zwischen zwei Platten nicht zum Zuge kommen kann, wenn man Konvergenzen und Druckunterschiede beschreiben will. Nur die Wirbel-Sicht kann durch diese Randbedingung bedient werden. Die Energie-Sicht beansprucht jedoch ein Modell mit freier Oberfläche! Fazit: Die Antwort zu Frage (1) heißt "nein".  Zurück zu den Fragen

Mit dieser Antwort auf Frage (1) sind die Fragen (2) und (3) praktisch mitbeantwortet:

(2)
Warum erteilt die die Hamiltontheorie der Energie eine Sonderrolle innerhalb aller Erhaltungsgrößen? Ist das überhaupt gerechtfertigt?


Die Antwort lautet natürlich "Nein".
Zurück zu den Fragen  Und weiter:

(3)
Wieso feiern die Hamiltonschen kanonischen Gleichungen fast überall große Erfolge, nur nicht in der Meteorologie?


Die Antwort hierauf wird offenkundig, wenn man sich die entscheidende Bedeutung der Wirbel im atmosphärischen Geschehen klar macht. Die Hamiltonsche Theorie konnte in ihrer einseitigen Energie-Sicht gar keinen durchschlagenden Erfolg haben! Wohl als unbewusste Folge dieser Einseitigkeit hatten sich ja auch andere theoretische Ansätze etabliert, solche, die auf der Wirbelgröße "Potentiellen Vorticity" (PV) basieren. Bisher gab es jedoch keine theoretischen Verknüpfungen zwischen den PV-Analysen und den Untersuchungen auf Energetik-Basis. Erst die Energie-Wirbeltheorie verbindet beide Ansätze zu einer einheitlichen Theorie.

Diese Verknüpfung ist nicht nur grundsätzlich sehr befriedigend, sie entfaltet auch ein weit größeres Anwendungsspektrum als die Summe der beiden separaten Ansätze vorher. In meinem Buch werden einige Anwendungen beschrieben, nicht nur der schon erwähnte dynamische Zirkulationsindex.
Zurück zu den Fragen Kommen wir nun zur nächsten Frage:

(4)
Wieso enthält die Impulsbilanzgleichung - (das ist ja die integrierte Bewegungsgleichung) - einen Quellterm, obwohl der Impuls eine globale Erhaltungsgröße ist?


Was ein Quellterm ist und was nicht, erkennt man am besten an einer Bilanzgleichung für ein Luftpaket. Da ich aber einen Vortrag ohne Formeln halten wollte, beschreibe ich das hier verbal. Die Bilanzgleichung beschreibt die Änderung des Gehaltes einer beliebigen extensiven Größe. Man kann z.B. den Energiegehalt des Luftpaketes, den Entropiegehalt oder auch den Ozongehalt bilanzieren. Die Frage (4) zur Bewegungsgleichung ist eine Frage an die Impulsbilanz.

Nun liest man in Lehrbüchern, dass es für solche Änderungen grundsätzlich nur zwei Möglichkeiten gibt. Erstens kann die extensive Größe durch die Oberfläche des Luftpaketes hindurch importiert oder exportiert werden, und zweitens kann sie im Inneren des Luftpaketes erzeugt oder vernichtet werden. In den integrierten Bilanzgleichungen können also Oberflächenintegrale über Transporte und Volumenintegrale über Quellen und Senken erscheinen. Diese beiden Möglichkeiten spiegeln z.B. die Frage wieder, ob denn Ozon-Verdünnungen auf "dynamische Prozesse" oder auf "Ozonlöcher" zurückzuführen sind. Dynamische Prozesse werden durch Oberflächenintegrale über Ozonflüsse beschrieben, Ozonlöcher hingegen durch Volumenintegrale über Ozonsenken.

Ein anderes instruktives Beispiel ist die Entropiebilanzgleichung. Das Oberflächenintegral über die Entropie - Flüsse beschreibt reversible Prozesse, und das Volumenintegral über die Entropie - Quellen beschreibt irreversible Prozesse. Ozon - und Entropiebilanzen haben deswegen Volumenintegrale über Senken oder Quellen, weil sie keine globalen Erhaltungsgrößen sind. Ganz entsprechend hat die Bilanzgleichung der Energie kein Volumenintegral, weil sie eine Erhaltungsgröße ist.

 

Unser Problem (4) besteht nun darin, dass die Impuls-Bilanzgleichung ein Volumenintegral hat, obwohl der Impuls eine Erhaltungsgröße ist! Meine Lösung des Problems lautet: Das Volumenintegral der Bewegungsgleichung ist kein wirklicher Quellterm. Es ist wie das Oberflächenintegral ein Austauschterm. Nur ist es kein Austausch mit der Umgebung des Luftpaketes, sondern ein Austausch im Inneren, und zwar mit dem dort ebenfalls anwesenden Gravitationsfeld. Die Liste von nur zwei logischen Möglichkeiten "Transporte nach außen bzw. von außen" und "Quellen im Inneren" muss also ergänzt werden durch den dritten Punkt "Austausch im Inneren", und ein solcher muss ja über ein Volumenintegral erfasst werden.

Details können in Lange (2002) nachgelesen werden, und vermutlich nur hier. Ich kenne jedenfalls keine Literaturstelle zur Theoretischen Meteorologie, wo diese Problematik auch nur erwähnt wird, geschweige denn beantwortet. Die hier gegebene Antwort fiel mir auch nicht plötzlich ein. Zuerst einmal musste ich mich trauen, eine solche elementare Frage überhaupt zu stellen. Und die Antwort gewann erst Gestalt nach sehr vielen Umwegen und Sackgassen. Ich habe mich auch lange vor Folgerungen meiner Antwort gescheut. Sie erfordert nämlich, dass die schon genannte quellfreie Energiebilanz so umgeschrieben werden muss, dass auch sie einen formalen Quellterm enthält! Es wäre doch unlogisch, in der integrierten Impulsbilanz die inneren Volumen-Kräfte durch ein Volumenintegral zu berücksichtigen, die Leistungen dieser inneren Kräfte in der Energiegleichung jedoch nicht!

Die Vermeidung eines solchen Quell-Terms in der üblichen Energiebilanzgleichung geschieht dadurch, dass man die Potentielle Energie, die eine Energieart des Gravitationsfeldes ist, von vornherein zu den Energiearten des Luftpaketes rechnet. Dieser Trick lässt sich in der Impulsbilanz nicht anwenden. Zwar gibt es tatsächlich auch Potentiellen Impuls, denn das Gravitationsfeld kann nicht nur Energie, sondern eben auch Impuls speichern, aber dieser kann dem Luftpaket nicht ständig zugeordnet werden. Vielmehr muss er mit dem Luftpaket intern ausgetauscht werden! Und das führte zur Fehlinterpretation einer Impulsquelle.
Zurück zu den Fragen

Fragen wir uns nun, ob wenigstens die Wissensbasis zur "Strahlung" standhält. Aber auch da sieht es nicht so gut aus:

(5)
Müsste ein Strahlungswärmestrom, der ja auch von "kalt nach warm" gerichtet sein kann, nicht den Zweiten Hauptsatz verletzen?


(6)
Wieso wurde die Strahlung erst 1984 in die Gibbs'sche Theorie der Thermodynamik eingebaut?


Derjenige, der die Frage (5) gestellt hat, heißt Max Plank. Er formte in einem Gedanken­experiment eine konvexe Linse aus Eis, also ein Brennglas, mit dem man ein Feuer entfachen kann. Ganz offensichtlich fließt dann ein Strahlungswärmestrom von kalt nach warm, von der kalten Linse zum heißen Feuer. Normalerweise fließen Wärmeströme ja von warm nach kalt. Sie gleichen so die Temperaturgegensätze irreversibel aus, vermehren dabei die Entropie und genügen dem Zweiten Hauptsatz. Der schon erwähnte positive Quellterm der Entropiebilanzgleichung "lebt" davon, dass der Wärmestrom immer schön brav von warm nach kalt fließt. In Plancks Gedankenexperiment tut er das nicht. Ist hier also der Zweite Hauptsatz verletzt? Planck (1966)beantwortete seine eigene Frage damit, dass er nicht das ganze Strahlungsfeld betrachtete, sondern einzelne Strahlenbündel, sozusagen die "Atome" des Strahlungsfeldes. Für diese formulierte er eine Beziehung zwischen der Entropie und der Energie, die auch im obigen Beispiel 2. Hauptsatz nicht widerspricht, womit die Frage (5) beantwortet ist. 1984 nun veröffentlichten Callies und Herbert, dass diese Planck'sche Beziehung gerade die Struktur einer Gibbs'schen Fundamentalform hat, und sie entwickelten aus dieser Erkenntnis heraus eine Gibbs'sche Theorie, die nun auch das ganzen Strahlungsfeld beschrieb. Das ist die sozusagen historische Anwort auf die Frage (6).

Beim Ausformulieren dieser Zusammenhänge für das Buch hatte ich ein unerwartetes Erfolgserlebnis, diesmal ganz ohne Umwege und Sackgassen. Ich hatte ja schon vorher das Luftpaket als ein intern offenes System behandelt, um eine physikalisch unsinnige Impulsquelle als innere Wechselwirkung mit dem Schwerfeld zu entlarven. Nun schoss es mir durch den Kopf, dass das Luftpaket ja nicht nur für Wechselwirkungen mit dem Schwerefeld intern offen ist, sondern auch für Wechselwirkungen mit dem Strahlungsfeld! Entsprechend muss man auf weitere unerwartete sogenannte Quellterme gefasst sein!

 

Gerade als ich mich mit diesen Fragen beschäftigte, bekam ich den Auftrag, die Dissertation von Pelkowski (1995) in Frankfurt/M. zu beurteilen, in der Ergebnisse der Arbeit von Callies und Herbert (1984) in praktischen Modellrechnungen angewendet wurden. Tatsächlich hatte Pelkowski hier (und auch in einem Seminarvortrag bei uns in Berlin) einen solchen Fall beschrieben, und ihn als "unerklärlich" bezeichnet. Nach der soeben gegebenen Interpretation liegt jedoch auch hier nur eine formale Quelle vor. Sie verletzt schon deswegen nicht den Zweiten Hauptsatz, weil sie keine Entropie-Vernichtung darstellt, sondern einen internen Entropie-Austausch des materiellen Systems mit dem Strahlungsfeld. Inneren Austausch im Luftpaket gibt es also nicht nur mit dem Schwerefeld, sondern auch mit dem elektromagnetischen Feld!  Zurück zu den Fragen Kommen wir nun den beiden klimatologischen Fragestellungen. Zunächst:

(7)
Muss "Klima" als eine (genauer zu spezifizierende) Statistik über das Wetter definiert werden, und damit auch als Statistik über die Physik des Wetters, oder gibt es auch eine eigenständige Klima-Physik?


Ebenso, wie Klima zweifellos etwas mit Statistik über Wetter zu tun hat, könnte man auch Wetter als Statistik über subskalige, turbulente Prozesse definieren, und die turbulenten Bewegungen wiederum als Statistik über alle Molekularbewegungen.

Jedoch würde kein Mensch mit 1023 Bewegungsgleichungen für Billardkugeln die Stoßbewegungen der Moleküle ausrechnen, um dann durch eine Mittelung die turbulente hydrodynamische Bewegung zu gewinnen. Vielmehr verwendet man eine Gleichung, die sogenannte Navier-Stokes'sche Gleichung, die von vornherein für die größere Skala gilt! Das geht aber nur deshalb, weil es zwischen der Molekularbewegung und der Turbulenzbewegung einen Qualitätssprung gibt. Es gibt eben eine eigenständige Physik in der größeren Skala! Die neue Qualität ist das "Lokale Thermodynamische Gleichgewicht", das es auf der Ebene der Moleküle noch nicht gibt.

Ebenso ist auch die synoptische Bewegung nicht nur zu verstehen als Summe aller subsynoptischen Bewegungen. Auch hier hat die größere Skala eine neue Qualität, die die Turbulenz noch nicht hatte. Das ist die quasi-geostrophisch-hydrostatische Dynamik, die es auf Turbulenzebene noch nicht gibt. Wegen dieser neuen Dynamik braucht man nicht alle atmosphärischen Turbulenzwirbel ausrechnen, um dann durch Mittelung den synoptischen Zustand zu gewinnen.

Erschöpft sich nun das Klima in einer Statistik über beobachtetes oder simuliertes Wetter, oder gibt es noch einmal neue physikalische Gesetze, die direkt auf das Klima anwendbar sind, weil sie Ausdruck einer neuen Qualität sind, die erst in der noch einmal größeren Skala auftaucht?

Diese Frage hat man sich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts auch schon gestellt. Damals bat mich mein akademischer Lehrer Fortak um meine Meinung zur Arbeit von Hasselmann (1976). Mir fiel auf, dass Hasselmann offenbar eine Gleichung vorschlug, die von vornherein für das Klima zuständig sein sollte. Sein physikalischer Ansatz basierte auf der Annahme, dass das Klima vom Wetter ebenso angetrieben wird wie ein Brown'sches Teilchen von der Molekularbewegung. Wenn man aber Klima als Brown'sche Bewegung auffasst, hat man natürlich eine eigene Physik des Klimas postuliert, mit einer eigenen Gleichung.

Aus mancherlei Gründen hat sich dieser fortschrittliche Modellansatz aber nicht durchsetzen können. In Hauschild, Lange, Spitzer (1998) sowie in Lange (2002) wird ein neuer Vorschlag zum gleichen Thema gemacht, der hauptsächlich auf meinen Doktoranden Hauschild (2000) zurückgeht. Obwohl einige Plausibilitäten zur positiven Beantwortung der Frage (7) gefunden wurden, sind wir von der tatsächlichen Beantwortung dieser Frage noch sehr weit entfernt.  
Zurück zu den Fragen  Die achte Frage …

(8)
Wie kann man die relative Temperaturkonstanz auf der Erde während der letzten zwei Milliarden Jahre verstehen, obwohl sich seitdem die Solar-"Konstante" um 30% erhöht hat?


… hatte ich schon in die Diskussionen zu den beiden letzten Habilitationsvorträgen in unserem Institut eingebracht. - Welche Klimaänderungen gab es in den letzten 2 Milliarden Jahren? Vorherrschend waren völlig eisfreien Perioden, die jeweils mehrere hundert Millionen Jahre andauerten. Sie wurden unterbrochen von Eiszeitaltern, die jeweils nur wenige Millionen Jahren andauerten. Insgesamt betrugen die Temperatur - Unterschiede kaum 10 Grad, vermutlich weniger. Das hat zwar noch immer gewaltige Auswirkungen, ist aber nicht zu vergleichen mit entsprechenden klimatologischen Entwicklungen auf Mars und Venus, wo heute minus 60 C bzw. plus 460 C herrschen.

Diese Planeten sind vor knapp 5 Milliarden Jahren gemeinsam mit der Erde entstanden. Alle drei Planeten bekamen dabei ähnliche Anfangsbedingungen für ihre klimatischen Entwicklungen, natürlich bis auf ihre unterschiedlichen Entfernungen von der Sonne. Aber diese erklären keinesfalls direkt die heutigen Temperaturunterschiede zwischen Mars und Venus. Z.B. hat die Venus eine so hohe Albedo, dass der Standortvorteil "Sonnennähe" schon dadurch wieder zunichte gemacht wird!

Die in Frage (8) angesprochene relative Temperaturkonstanz der Erde ist also nicht nur erstaunlich angesichts der Erhöhung der Solarkonstante, sondern auch angesichts des völlig unterschiedlichen Verhaltens von Mars und Venus. Wo also ist der irdische Temperatur - Regelmechanismus? Wo ist der Thermostat, der auf der Erde funktioniert, auf Mars und Venus aber nicht? Das ist der Kern unserer Frage.

Man sieht heute den Thermostaten der Erde in der Fähigkeit, das Treibhausgas CO2 bei Erwärmung zu reduzieren und bei Abkühlung zu erhöhen. Dieser Mechanismus arbeitet auf extrem langfristiger Skala.

Zunächst wird bei drohender Erwärmung CO2 reduziert, weil es durch vermehrte Wolkenbildung und Niederschlag auch vermehrt ausgewaschen wird. Der vermehrte natürliche saure Regen also liefert die stabilisierende Rückkopplung bei Erwärmungen, er führt bei Erwärmung zu einer Verringerung des natürlichen Treibhauseffektes. Was aber geschieht mit dem ausgewaschenen Kohlenstoff? Dieses Geschehen ist ungeheuer komplex. In Lange (2002) werden vier verschiedene Kohlenstoff-Unterkreisläufe beschrie­ben, und es gibt sicher noch mehr. Diese haben extrem unterschiedliche Zeitskalen, da unterschiedliche Zwischenspeicher in die Kreisläufe eingebaut sind. Kohlenstoffspeicherung geschieht z.B. in der Land- und Meeresvegetation, in ozeanischen Zirkulationen, wobei die thermohaline Tiefen - Zirkulation bereits eine Zeitskala von etwa 1000 Jahren hat.

Sogar in den Gesteinen der Lithosphäre wird ein kleiner Teil des ausgewaschenen Kohlenstoffs gespeichert. Dieser Anteil wird erst dann wieder frei, wenn die Plattentektonik die Sedimente aufreißt. Somit hat dieser vierte Kohlenstoff-Kreislauf, der sogenannte Karbonat-Silikat-Zyklus, auch die plattentektonische Zeitskala von Millionen von Jahren. Aber egal, wie lange es jeweils dauert, irgendwann schließen sich alle Kohlenstoffkreisläufe. Das unterschiedlich lange gespeicherte CO2 gelangt langfristig komplett in die Atmosphäre zurück.

Extrem langfristig gesehen, garantieren also die Kohlenstoffkreisläufe einen gleichbleibenden natürlichen CO2 - Eintrag in die Atmosphäre. Jetzt verstehen wir den irdischen Thermostaten auch dann, wenn eine Abkühlung droht. Dann verringern sich Verdunstung, Wolkenbildung, Niederschlag und das "Auswaschen" von CO2. Der natürliche CO2 - Eintrag aus den geschlossenen Kreisläufen bekommt langfristig ein Übergewicht und heizt das natürliche Treibhaus wieder an.

Der irdische Thermostat arbeitet hiernach also ganz ohne die sogenannte "Gaia-Hypothese", also auch ohne Mitbeteiligung irdischen Lebens. Die Frage sogar, ob die Erde selbst ein Lebewesen wäre, empfinde ich persönlich als spekulativ. Dem widerspricht aber nicht, dass Lebewesen auf der Erde den Thermostaten unterstützen können. Das bekannteste Beispiel ist wohl das Phytoplankton, welches das CO2 - Auswaschen verstärken könnte, weil seine Stoffwechselprodukte als Kondensationskeime für Regentropfen wirken könnten.

Warum aber arbeitet der irdische Thermostat nicht auf unseren Nachbarplaneten? Wehe wenn kein Flüssigwasser mehr zur Verfügung steht, weil es vielleicht komplett zu Wasserdampf verdunstet ist! Dann kann CO2 nicht mehr ausgewaschen werden! Die Erwärmung kann dann nicht mehr negativ rückgekoppelt werden, zumal ja Wasserdampf selbst ein starkes Treibhausgas ist, sogar das stärkste. Genau das ist offenbar auf der Venus passiert, und daher konnte dort die Temperatur auf die heutigen 460 C ansteigen.

Auf dem Mars wurden die stabilisierenden Kohlenstoff - Kreisläufe auf andere Weise unterbrochen. Der Planet Mars ist zu klein, um einen zähflüssigen Mantel für die Plattentektonik zu besitzen. Somit ist zwar zunächst, wie auf der Erde, das Treibhausgas CO2 ausgewaschen worden. Die Marskanäle deuten ja auf eine frühere Existenz von Flüssigwasser. Ständig wurde auch dort ein kleiner Teil des ausgewaschenen CO2 in Sedimenten gebunden. Diese CO2 - Speicherung war aber endgültig, da der Mars keine Plattentektonik hat! Ständig wurde ein kleiner CO2 - Anteil an der Rückkehr zur Marsatmosphäre gehindert! Auf Dauer wurde der natürliche Treibhauseffekt immer geringer, bis die Temperaturen unter den Gefrierpunkt sanken. Und man sieht, dass die Sonnen - Ferne nicht der Grund dafür war, sondern die Kleinheit des Planeten.

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Kommen wir nun zu den beiden letzten Themen dieses Vortrages, die wir wieder im Zusammenhang diskutieren können.

(9)
Wieso gibt es so viele Formulierungen der Hauptsätze, aber selten oder nie Beweise für die Äquivalenz dieser Formulierungen ?


(10)
Wieso wird in Lehrbüchern meist nur entweder eine "Thermodynamik der Hauptsätze" oder eine "Gibbs'sche Thermodynamik" beschrieben?


Die Beantwortung dieser Fragen war begleitet von besonders starken emotionalen Begleiterscheinungen. Ich beginne mit einigen aus Lehrbüchern und Handbüchern gesammelten Versionen des Ersten Hauptsatzes der Thermodynamik:

 

Beschreibung: E:\JOs DATEN\TEXTE & TABELLEN\Homepage & Autobiographisches\Homepage\Version 1205\html-Version zum lokalen testen und hochladen\Vor_Wissensbasis-Dateien\image001.jpg
Der Erste Hauptsatz muss ja die Energieerhaltung in thermodynamisch relevanter Form ausdrücken. Die 5 ersten Versionen tun dies durch die Aussage, dass die Innere Energie U eines Systems nur dann zunehmen kann, wenn man an dem System Arbeit leistet und/oder wenn man dem System Wärme zuführt, wofür die hier aufgeführten 5 unterschiedlichen Symboliken verwendet werden.

Allerdings ist die 5. Version falsch, weil Arbeit und Wärme Energieänderungen sind, die man nicht durch Differentiale von Zustandsgrößen ausdrücken kann. Wenn das der Fall wäre, wäre z.B. die Arbeit nach einem Kreisprozess genauso groß wie vorher, d.h. Wärmekraftmaschinen könnten gar keine Arbeit abgeben. Es gäbe dann keine Autos und auch keine bewegte Atmosphäre. Und dennoch findet man diese Gleichung z.B. in einem

sogenannten "Atlas der Physik". - Auch die 4. Version aus einem "Handbuch naturwissenschaftlicher Grundbegriffe" ist formal falsch, denn Arbeit und Wärme sind weder Zustandsgrößen noch Differentiale von Zustandsgrößen.

Die 3. Version ist die Gibbs'sche Fundamentalform, wenn auch nur für ein ruhendes ideales Gas. Eine Gibbsform hat jedoch eine ganz andere Aufgabe als ein erster Hauptsatz. Sie soll nicht angeben, wie sich die Innere Energie ändern muss, damit die Gesamtenergie erhalten bleibt, sondern sie hat die Aufgabe, alle überhaupt möglichen Prozesse aufzuzählen, egal, ob dabei irgendwelche Größen erhalten bleiben oder nicht. Die 2. Version ist als Mischform auch nicht überzeugend. Wirklich korrekt ist eigentlich nur die 1. Version, obwohl viele das Nichtdifferential-Symbol "Delta" nicht mögen.

Zum Glück gibt es auch Formulierungen des Ersten Hauptsatzes, in denen die Begriffe "Arbeit" und "Wärme" nicht vorkommen. Die 6. Version (aus einem Physik-Lehrbuch) beschreibt die globale Erhaltung der Energie dadurch, dass sie sich nicht durch innere Prozesse ändern darf. Diese Formulierung erinnert an die hydrodynamischen Bilanzgleichungen, und sie verdeutlicht auch den Unterschied zur Nicht - Erhaltung der Entropie.

Besonders "schön" (nun aber wieder in Anführungsstrichen) ist noch die wörtliche Gegenüberstellung der beiden letzten Versionen 7 und 8, wiederum aus Lehrbüchern entnommen. Offenbar kann der Erste Hauptsatz nicht gleichzeitig identisch und ein Spezialfall der Bilanzgleichung für die Innere Energie sein!

Ich dachte an die armen Studierenden, die gerne für eine Prüfung den Ersten Hauptsatz lernen möchten, dazu verschiedene Bücher zu Rate ziehen und dann erkennen müssen, dass es vor allem darauf ankommt, gerade das Buch zu nehmen, welches auch der prüfende Professor hat. Irgendwelche Beziehungen oder Umrechnungen zwischen all diesen (und weiteren) Formulierungen des Ersten Hauptsatzes wird man nämlich kaum finden. Hinzu kommt, dass es auch noch die unterschiedlichsten Definitionen von Wärme gibt. Da gibt es eine ausgetauschte Wärme, eine Clausius'sche Wärme, eine erzeugte Wärme, eine reduzierte Wärme, eine thermodynamische Wärme, eine umgangssprachliche Wärme.

Also beschloss ich, in Lange (2002) diesen Sumpf trockenzulegen. Ich war guten Mutes, dieses tun zu können. Ich hatte schon in meinem Vorlesungsskript von 1994 einige spezielle Beziehungen zwischen Hauptsätzen, Gibbstheorie und Hydrodynamik beschrieben, und ich hatte bestimmte Vorstellungen, wie man das nun auch ganz allgemein formulieren könnte.

Während des Sommerurlaubes 1999 auf der Insel Usedom sollte es nun endlich passieren. Die Fragen (9) und (10) sollten allgemein beantwortet werden. Ich hatte wie immer mein Notebook mitgenommen und tippte fröhlich vor mich hin. Plötzlich lähmte mich jedoch ein bestimmter Gedanke, und ich musste mich entsetzt fragen, ob mein Ansatz ganz falsch sei. Natürlich überprüfte ich immer und immer wieder meine Gedanken, aber es blieb zunächst dabei: Meine Hoffnung, so etwas wie eine einheitliche Gibbs'sche Hydro-Thermodynamik formulieren zu können, hatte sich in einer Sekunde zerschlagen! Dies ist wohl der finsterste Abschnitt meiner Autoren-Erfahrung.

In meiner Enttäuschung beschloss ich, eine nur wenig erweiterte Version meines vergriffenen Vorlesungsskripts anzubieten. Ich begann noch während des Usedom-Urlaubs mit entsprechenden Kürzungen. Das war schon rein technisch nicht so einfach, weil mein Formel-Schreibprogramm "Chi-Writer", ein altes DOS-Programm, keine automatischen Anpassungen von Inhaltsverzeichnis, Index und Formelnummern vornimmt. All das musste per Hand geschehen. Konvertierungsversuche nach Winword oder LaTex waren fehlgeschlagen. Das war die Strafe dafür, dass ich nicht rechtzeitig auf die neuen Programme umgestiegen war.

Kurz nach diesem legendären Urlaub taten mir die meisten Kürzungen schon wieder leid. Nicht alle herausgenommenen Textstellen hatten sich fundamental auf die missglückte Gibbs'sche Hydro-Thermodynamik bezogen, und sie enthielten auch andere Gedankengänge, die so in anderen Büchern nicht zu finden sind. Also habe ich hier dieses, dort jenes wieder eingebaut, und alle Bezüge wiederum per Hand angepasst.

Nun fragte mich Herr Doz. Dr. Herzog aus Potsdam, ob ich mich mal mit Bilanzgleichungen heterogener System befasst hätte. Ich hatte tatsächlich eine Ausarbeitung aus den 80er Jahren in der Schublade, aber sollte ich dieses Riesenthema auch noch in das Buch aufnehmen? Man müsste die einfache quellfreie Kontinuitätsgleichung ergänzen durch Quellen - behaftete Bilanzgleichungen für die Partialmassen, man hätte es mit mehreren Strömungsgeschwindigkeiten zu tun, usw. - Andererseits hatte ich offenbar auch dazugelernt, denn ich konnte so manches aus dem ersten Entwurf abkürzen und vereinheitlichen. Dies konnte ich insbesondere dann tun, wenn ich bestimmte Voraussetzungen einführte, die für die Atmosphäre sehr plausibel sind.

Diese Voraussetzungen nenne ich in meinem Buch die "Atmosphärische Realisierungs­approximation". Sie umfasst z.B. die Forderung, dass atmosphärische Druckänderungen quasistatisch realisiert sind, oder dass das Schwerefeld für alle Massenkomponenten eines kleinen Luftpaketes gleichstark ist. Ich merkte insbesondere, dass unter solchen Voraussetzungen die heterogene Energiebilanz identisch wird mit der homogenen Energiebilanzgleichung, mit der wir bisher sowieso immer gearbeitet hatten, vielleicht ein wenig gedankenlos. Die Entropiebilanzgleichung allerdings muss auch nach Einarbeitung der "Atmosphärischen Realisierungsapproximation" heterogen verwendet werden, obwohl auch sie sich stark vereinfacht.

Und nun kommt meine schönste Erfahrung als Buchautor. Ich erkannte, dass unter den Voraussetzungen der "Atmosphärischen Realisierungsapproximation" mein Usedomer Konzept doch richtig ist! Zum Glück hatte ich den Text noch nicht gelöscht, ich konnte das "Backup" reaktivieren und unter den neuen Gesichtspunkten wiederverwenden.

Ein Knackpunkt war allerdings noch immer dabei, nämlich der, dass die Reibungswärme gar keine Wärme ist, sondern Arbeit! Reibung ist die Arbeit der Scherspannungen bei einer Deformation des Luftpaketes, vergleichbar mit der Arbeit der Druckspannung bei Volumenänderungen. Die Summe beider Arbeiten ergab dann einen neuen vollwertigen Gibbs'schen Arbeitsterm!

Mehr oder weniger von allein entstand so eine einheitliche Formulierung, welche die Gibb'schen Gleichungen, die Hauptsätze und die hydrodynamischen Bilanzgleichungen unter einen Hut brachte. Warum eigentlich berücksichtigte die bisherige Thermodynamik entweder keine Erhaltungseigenschaften, wie die Gibbs'sche Thermodynamik, oder allenfalls die Erhaltung der Energie, wie die Thermodynamik der Hauptsätze? Es liegt doch eigentlich nahe, eine Thermodynamik zu begründen, die alle Erhaltungsgrößen nutzt. Das ganze ließ sich sogar auf einem relativ niedrigen technischen Level darstellen. Wenn man erst weiß, wie es geht, fragt man sich einmal mehr, warum man das nicht schon früher gesehen hat.

Im Hochgefühl dieses Erlebnisses dachte ich nun, dass es ja eigentlich ganz toll wäre, wenn das Buch noch weiter abgerundet würde, wenn noch andere moderne Sachen in das Buch einfließen würden, jedenfalls in ihrer Grundstruktur. So müsste das Buch auch einige Abschnitte über die Stratosphäre enthalten. Und die Grenzschicht sollte nicht nur die lineare Ekman-Physik enthalten. Und die meteorologische Relevanz der Chaostheorie mit hineinzunehmen, macht ja fast keine Arbeit, (dachte ich), und die Energie-Wirbel-Theorie war ja sowieso schon drin. -  Damit bin ich am Ende meiner Erfahrungs - Sammlung als Lehrbuchautor angekommen. Wenn ich Ihnen nicht nur meine Gefühlswelt, sondern auch einige inhaltliche Aspekte vermitteln konnte, dann ist ja heute eine weitere, gute Erfahrung hinzugekommen.


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Literatur: 

Callies, U.; Herbert, F. (1984): On the Treatment of Radiation in the Entropy Budget of the
   Earth-Atmosphere System. In: New Perspectives in Climate Modelling, A.L. Berger und
   C. Nicolis, Herausgeber. Elsevier, Amsterdam 

Hasselmann, K. (1976): Stochastic climate models. Tellus 28, 6 

Hauschild, A.; Lange, H.J;  Spitzer H.J. (1998): Vorschlag zur Trennung der Klimaskalen
   von den Wetterskalen. Annalen der Meteorologie (Neue Folge), Band 37

Hauschild, A. (2000): Skalentrennung von Wetter und Klima. Dissertation, Berlin 

Lange, H.J. (2002): Die Physik des Wetters und des Klimas. Reimer-Verlag (2002)

Nambu, Y. (1973): Generalized Hamiltonian Dynamics. Phy. Rev. D7, 2405

Névir, P. (1998): Die Nambu-Felddarstellungen der Hydro-Thermodynamik und ihre
   Bedeutung für die dynamische Meteorologie.
Habilitationsschrift, Berlin.

Névir, P.; Blender, R. (1994): Hamiltonian and Nambu representation of the non-dissipative
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Beitr. Phys. Atmos. 67, 133 

Pelkowski, J. (1995): Entropieerzeugung eines strahlenden Planeten: Studien zu ihre
   Rolle in der Klimatologie. Dissertation, Frankfurt. Verlag Harry Deutsch 

Planck, M. (1966): Theorie der Wärmestrahlung. Johann Ambrosius Barth, Leipzig   

 


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